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Olivier Rolin
Baikal-Amur. Ein Reisebericht
Aus dem Französischen von Holger Fock und Sabine Müller
Verlag liebeskind
Dieses kleine Buch hat es in sich: auf vergleichsweise wenigen Seiten gelingt dem in Frankreich prämierten Schriftsteller Olivier Rolin, außer der bewundernswert knappen Darstellung der Entstehungsgeschichte des „Jahrhundertprojektes“ Baikal-Amur-Magistrale, ein wunderbares Porträt der inneren Verfaßtheit des heutigen Rußlands.
Fast 4287 km Strecke Schienenweg vom Herzen Sibiriens bis zum Ende Eurasiens, fast 150 Stunden in Zügen, legt Rolin bis zum Pazifischen Ozean zurück - vorbei an u.a. vom Gulag-System geprägten Städten und Landschaften, wo Verfall und Zerfall unmittelbar nebeneinander und die Opfer der unter nur schwer vorstellbarem Leid geleisteten Aufbauarbeit meist nur wenige Zentimeter unter der Erde liegen. Rolin begegnet Landschaften, Städten und Menschen, vor allem ihren Geschichten mit großer Neugier und Offenheit, manchmal auch mit verständlicher Distanz und leisem Humor. Stets wahrt er dabei Respekt und Bewunderung für menschliche Überlebenskraft und Überlebenswillen: „und (ich) begreife allmählich, daß dieses Land, diese Menschen Katastrophen erlebt haben, von denen wir uns keine Vorstellung machen und die es uns einfach nicht erlauben, sie nach unseren bequemen Gewißheiten zu beurteilen“. Olivier Rolin zweifelt kokett, ob Reiseberichte überhaupt gelesen werden – diesen liest man ohne Zögern mit großer Begeisterung. Malcah Castillo 192 Seiten
20€ |
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Jurek Becker
Am Strand von Bochum ist allerhand los
Suhrkamp Verlag
"Du alte Hemmschwelle, Du olle Kuchengabel, Du heller Wahnsinn, Du alte Salatschleuder, Du altes Zinsgefälle, Du süße Blutwurst, Du griffige Formel, Du flammendes Inferno, Du lieber Kullerpfirsich, Du olles Vorderrad, Du billige Ausrede, Du altes Schweigegelübde, Du alter Ziegenkäse, Du schneller Brüter, Du kühne Tat, Du letzter Heuler, Du glückliche Fügung, Du alte Vorzugsaktie, Du verwinkeltes Viertel, Du heilloses Durcheinander, Du tiefer Einblick, Du unbedingter Gehorsam, Du geballte Ladung, Du alte Biokarotte..." Jurek Becker, der Autor von Jakob der Lügner, war ein leidenschaftlicher Postkartenschreiber: Mit seinem unglaublich schrägen Humor, seiner liebevoll zärtlich, melancholischen Sicht auf das Leben, seiner grenzenlosen Lebensfreude und seinem warmen, empathisch lakonischen Ton schrieb er von unterwegs Postkarten, bildmotivisch sorgfältig ausgesucht, an Skurrilität kaum zu überbieten und von langer Hand geplant. Etwa 400 davon sind in dies em Band versammelt, der den köstlichen Titel: Am Strand von Bochum ist allerhand los trägt. Ein großer Spaß! Eine große Liebeserklärung! Ein kostbares Buch! Du olles Email-Postfach, schreib doch mal wieder eine Postkarte! Silke Grundmann 398 Seiten
32€ |
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Stefan Thome
Gott der Barbaren
Suhrkamp Verlag
Philipp Johann Neukamp aus der Mark geht nach der gescheiterten 48er Revolution nach Holland, wird zum Missionar ausgebildet und von der Basler Missionsgesellschaft nach Hongkong geschickt. Es ist das Jahr 1850, China ist wirtschaftlich geschwächt durch innere Auseinandersetzungen , v.a. aber durch die Opiumkriege und die agressive Haltung Englands. Die Barbaren, das sind die Europäer. Aufständische, angeführt von einem zum Christentum konvertierten Philosophen, versuchen von Nanking aus eine neue, zuerst offen liberale, Menschen achtende Ordnung zu etablieren, die sich aber immer mehr zum brutal agierenden Gottesstaat wandelt und deren Führer sich für den 2. Sohn Gottes hält, in Missinterpretation der christlichen Lehre.
Neukamp, fasziniert von der Person und den Gedanken dieses Mannes, reist nach Nanking, mitten in die militärische Auseinandersetzung zwischen diesem zweiten Messias und seinem Gegenspieler, einem eher der Philosophie und einem reformistischen Konfuzianismus zugeneigten mächtigen General des Mandschureichs. Auch die Engländer mischen mit ihren Kriegsschiffen und Kanonen heftig mit. Neukamp kann sich am Ende retten, körperlich verletzt und in seinem idealistischen Weltbild ebenso beschädigt wie eine andere zentrale Figur des Romans, der britische Sonderbotschafter, der die Öffnung Chinas und seiner Häfen für England erreichen soll und mehr und mehr das Fatale seiner Mission erkennt. Stephan Thomes Roman ist spannend, mit faszinierenden Personen und einem weiten Blick in die Geschiche und Gedankenwelt Chinas. Renate Georgi 719 Seiten
25€ |
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James Baldwin
Beale Street Blues
dtv
Die Lektüre dieses Buches hinterlässt etwas, was nur wirklich ganz große Literatur kann: Staunen, Erfüllung, das Gefühl der Teilhabe von etwas ganz Wichtigem für einen selbst, für das Verstehen von Welt. James Baldwin hat mit Beale Street Blues einen Liebesroman geschrieben, der so traurig ist und gleichzeitig so hoffen lässt, dass man ihn erschüttert und glücklich zuklappt und zum nächsten Baldwin greift. Endlich werden seine wichtigsten Bücher im Verlag DTV neu übersetzt und wieder in einem wunderbaren Deutsch lesbar.
Die Musik dieser Sprache ist eine Mischung aus Bibel, Slang und Blues. Wuchtig, direkt und schmerzhaft schön. Auf Grund einer falschen Aussage eines weißen Polizisten wird Fonny, ein junger Schwarzer, Künstler und großer Liebender, ins Gefängnis gebracht. Er soll eine junge Puerto Ricanerin vergewaltigt haben: Daran ist selbstredend nichts wahr. Die Festnahme ist schlichtweg ein Akt von Rassismus, Sadismus und Erniedrigung - strukturelle Gewalt. Fonnys Freundin Tish, deren Familie und Fonnys Vater setzen alles daran, ihn rauszuholen - doch das ist schwer. Dieser Roman ist auch ein Buch über Solidarität, Einsatz für den anderen. Die Liebe in diesem Buch hat etwas Revolutionäres - sie bewegt etwas, was über zwei Menschen hinausgeht. Ein Buch, bei aller Schwere, das Hoffnung und Optimismus hinausschreit. "Viele von unseren Lieben, viele von unseren Männern sind im Gefängnis gestorben, ja: aber nicht alle." Nichts in diesem Roman hat Patina angesetzt, er ist thematisch und politisch so aktuell wie in den 50ern, den 70ern und auch noch (leider) heute. Dabei macht es sich James Baldwin mit der Analyse von Rassismus nicht leicht, was ihm auch damals schon, bei Erscheinen des Romans, Kritik eingebracht hat, war doch sein Standpunkt, dass es immer zwei sind, die es zur Unterdrückung eines Menschen braucht: der Andere und man selbst. „Fonny jedenfalls ist aus dieser Falle des Selbsthasses ausgebrochen: Er hat nämlich sich selbst gefunden, so richtig, innen drin: und das hat man gemerkt. Er ist niemandes Nigger. Und das ist ein Verbrechen in diesem beschissen freien Land.“ Lesen Sie dieses Buch! Es wird Sie begeistern! Und ich warte ungeduldig auf den nächsten Band im DTV Verlag. Silke Grundmann 224 Seiten
20€
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Esther Kinsky Suhrkamp Verlag Man kann sich dem Sog dieses Buches nicht entziehen, obwohl (und das sei hier nicht als Warnung, sondern nur als erläuternder Hinweis zu verstehen) es nicht wirklich eine Handlung gibt auf diesen fast 300 Seiten. Aber sind nicht gerade diese Bücher oft die herausragenden? Die Jury des Leipziger Buchpreises teilt erfreulicherweise diese Einschätzung. Von drei Italienreisen berichtet die Ich-Erzählerin, Reisen zur Unzeit (Januar) in wenig arkadische Gegenden Italiens: eine Kleinstadt nordöstlich von Rom, die Lagunenlandschaft der Poebene und buchmittig angeordnet die Fahrten mit dem etruskerverliebten Vater in den Siebzigern, Erinnerungen an die Kindheit. Die Ich-Erzählerin beschreibt, was sie sieht, erinnert, träumt. Es geht um Verlust, intensivste Trauer, Abwesenheitsnotizen, um eine Wiedergewinnung an Boden – oder sagen wir besser Augenhaftung. Präzision, Sinnlichkeit und Distanz prägen diesen Text. Und eben deshalb weisen viele Passagen über das Gesagte hinaus. „Hat es Sinn, auf eine Baumgruppe zu zeigen und zu fragen: 'Verstehst Du, was diese Baumgruppe sagt?' Im allgemeinen nicht; aber könnte man nicht mit der Anordnung von Bäumen einen Sinn ausdrücken, könnte das nicht eine Geheimsprache sein?“( Ludwig Wittgenstein, Philosophische Grammatik, dem Roman vorangestellt). Esther Kinsky schickt eine Erzählerin aus, die sich Kraft ihrer unendlich differenzierten, stilsicheren Wortwahl einer Welt vergewissert, der man nicht verloren geht, weil man sie in Literatur verwandeln kann: Das ist das Tröstliche an diesem Buch. Die Lektüre ist eine Schule des Sehens. Mit bewundernswerter Könnerschaft schafft Esther Kinsky aus Worten Bilder äußerer und auch (sparsam) innerer Landschaften. Das Besondere an diesem Buch ist, dass es trotz einer so reichen und differenzierten Sprache ganz ohne Überhöhung und ohne jegliche Manierismen auskommt. Es ist sachlich, distanziert und trotzdem (oder gerade deshalb) anrührend und kostbar und weit entfernt von jedem Italienklischee. „Das Gelände lag roh im Tageslicht und trostlos bei Nacht, vielleicht sogar untröstlich über seine völlige Untauglichkeit – weder zur Landschaft noch zum Obdach wollte es sich eignen.“ Formal und stilistisch ein Meisterwerk von großer poetischer Kraft. Silke Grundmann 287 Seiten |
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Fernando Aramburu Spanien Ende der 50er Jahre – seit 1959 kämpft die baskische Untergrundorganisation ETA militant für ein unabhängiges „Euskal Herria“ – ein politisch souveränes Baskenland links und rechts der Pyrenäen. Der baskische Autor Fernando Aramburu hat dieser Zeit ein überragendes und fesselndes Epos um zwei befreundete Familien, um die Verschränkungen von Opfern und Tätern der ETA, um den zähen Überlebens- und Lebenswillen des Menschen, um perfide Mechanismen wie Manipulation, Denunziation und Folter in ideologisch extremen Zeiten gewidmet. Über zwei Generationen verknüpft Aramburu die Ereignisse seines Romans und umkreist nicht-chronologisch den eigentlichen Kern des Geschehens um die Ermordung eines Unternehmers durch die ETA aus unterschiedlichsten Perspektiven. Kann und will die Elterngeneration nicht vergessen, ringt die nächste Generation um ein eigenständiges Leben, frei von emotionalen und tragischen Hypotheken der Eltern. Mit ausgesprochener Sympathie und Verständnis für jede seiner Figuren stellt er dabei besonders die Frauen ins Zentrum: sie sind trotzig, standhaft, karg bis extrem lebenshungrig, auch schrullig und störrisch bis zum Aberwitz. Nicht immer sind sie die Klügeren, aber häufig die „Überlebenden“. In Zeiten erneuter regionaler Unabhängigkeitsbestrebungen, Radikalisierung und ideologisch aufgeheizter Debatten um Identität und Territorien ein wichtiger und darüber hinaus literarisch großartiger Roman, der 2017 mit dem renommierten Premio Nacional de Narrativa geehrt wurde. Malcah Castillo 768 Seiten |
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Kent Haruf
Unsere Seelen bei Nacht Diogenes Verlag Eine verwitwete Frau, um die 70 Jahre, fasst sich ein Herz und fragt einen einen etwa gleichaltrigen Mann aus der Nachbarschaft, ob sie die Nacht bei ihm verbringen könne – ohne anzügliche Absichten, nur um die Einsamkeit abzumildern. Verdutzt, aber neugierug stimmt er zu und daraus entwickelt sich ein Verhältnis voller Liebenswürdigkeit und Vertrauen. Dies alles spielt sich in einer (fiktiven) amerikanischen Kleinstadt ab, von einem hier nahezu unbekannten amerikanischen Autoren, Kent Haruf (1943-2014), gekonnt in Szene gesetzt. Natürlich empören sich die sogenannten rechtschaffenen Mitbürger und auch die Kinder der beiden beobachten das zunehmend enger werdende Verhältnis mit Argwohn, zumal sie sich im Laufe der Zeit gemeinsam um einen Enkel kümmern, der ihre Fürsorge dringend braucht, da er unter der Trennung seiner Eltern sehr leidet. Dies alles ist leise und diskret erzählt, niemals kitschig und immer glaubwürdig, und wenn man das Buch nach seinem melancholischen Ende schließt, bleibt man als Leser mit einem seltenen Gefühl zurück, das das Buch durchzieht – menschliche Güte. kp 208 Seiten 20,00 € |
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Peter de Mendelssohn
Zeitungsstadt Berlin. Menschen und Mächte in der deutschen Presse Neuausgabe, erweitert und aktualisiert von Lutz Hachmeister u.a. Ullstein In diesem Jahr feiert die Zeitungsstadt Berlin ihr 400jähriges Jubiläum: 1617 erschien die „Frischmann-Zeitung“, die erste regelmäßig erscheinende Publikation in Zeitungsform.
1928 gab es in Berlin etwa einhundert Tageszeitungen, zehn davon in fremden Sprachen, einhundert periodisch erscheinende Unterhaltungsblätter und vierhundert Fachzeitschriften. Im April 1945 hatte Berlin nur noch ein (sehr kurzlebiges) Periodikum. Es hieß „Die Panzerfaust. Kampfblatt für die Verteidiger Groß-Berlins“. Groß-Berlin aber lag in Trümmern. Es gab keine Zeitungen mehr. An diesem Nullpunkt setzt „Zeitungsstadt Berlin“ ein, um dann die Entwicklung und Vielfalt des Berliner Pressewesens in all seinen Facetten aufzufächern. Das Buch erschien erstmals 1959 und wurde sogleich ein Standardwerk für Medienwissenschaftler. Verfasser ist der 1908 geborene Schriftsteller und Thomas-Mann-Biograph Peter de Mendelssohn, der als Redakteur des „Berliner Tageblattes“ die Blütezeit der Berliner Zeitungslandschaft noch selbst miterlebt hatte. 1933 emigrierte er über Wien nach London, kehrte als britischer Offizier 1945 nach Deutschland zurück, wo er beim Aufbau der demokratischen Presse mitwirkte. Dem Ullstein Verlag ist nicht genug zu danken, dass er dieses Referenzwerk dem Leser nun wieder neu zugänglich gemacht hat. Man staunt beim Lesen erneut über die stilistische Brillanz, mit der die enorme Materialfülle bewältigt wird, die Anschaulichkeit der Porträts und nicht zuletzt den Anekdotenreichtum dieses würdig gealterten Werks. Lutz Hachmeister hat es um ein Kapitel ergänzt, das über die Zeit der Wiedervereinigung bis zu den Umbrüchen der Gegenwart aufschließt. Die Stadt Berlin habe ihre Zeitungen, so Mendelssohn, „geliebt und gehasst, verwöhnt und verachtet, verlacht und beweint“, sie aber „immer gelesen“. Man darf gespannt sein, was die Zeitungsvielfalt in Zeiten von digitaler Gratiskultur und WhatsApp der Gesellschaft wert ist. gw 816 Seiten
42,00 € |
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Alexander Goldstein
Denk an Famagusta Aus dem Russischen von Sabine Kühn Matthes & Seitz „Ich bin absolut kein Historiker, vielleicht bringe ich etwas durcheinander, in meinem löchrigen Kopf geht alles drunter und drüber, löffeln Sie den Brei der Chronologie doch selber aus.“
Sollte man sich als Leser diesem erklärtermaßen unzuverlässigen Erzähler für mehr als 500 Seiten anvertrauen? Man sollte es unbedingt, vorausgesetzt man verabschiedet sich konsequent von bisherigen Lesegewohnheiten und Erwartungshaltungen. Es gibt keine nacherzählbare Handlung in dieser Wunderkammer eines Romans; Zeitebenen und Orte wechseln und verschränken sich ständig, Goldsteins melodisch-mäandernde Sätze durchmessen mühelos auf wenigen Seiten ganze Jahrhunderte. Die Stelle des Helden nimmt eine Stadt ein: Baku, aserbaidschanische Erdölmetropole am Kaspischen Meer, Schnittstelle zwischen Orient und Okzident, zwischen Tradition und Moderne. Im bunten Völkergemisch dieser Stadt lässt Goldstein ein raffiniertes Geflecht aus Erinnerungen, Alltagsszenen und erotischen Eskapaden erstehen, kaleidoskopartig, rhapsodisch, detailreich und voll des grimmigsten Humors. Der Untergang der „Union der sozialistischen Sowjetrepubliken“ wird von deren östlichstem Rand her beobachtet, aber noch dieser Abgesang ist voller liebevoller Schilderungen des Alltagslebens. „Ich, der den Osten hasste, lebte mein Leben lang im Osten.“ Alexander Goldstein, 1957 in Talinn geboren, emigrierte 1990 wie viele Juden aus dem zerfallenden Sowjetimperium nach Israel, wo er 2004 starb. „Alles mitbringen, nichts vergessen“ – aus dieser simplen Poetologie formte er diesen ausufernden, überbordenden, faszinierenden Erzählstrom, der seinesgleichen nicht hat. gw 540 Seiten
30,00€ |
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Peter Watson
Zeitalter des Nichts C.Bertelsmann Als Nietzsche im letzten Drittel des 19. Jhdts. Gott für tot erklärt hatte wurde das Ende einer Entwicklung markiert, in deren Zentrum die Frage nach Gott, dem Göttlichen, nach dem Tranzendenten stand. Nach diesem umstürzenden Diktum kam es in der abendländischen Geisteswelt und Gesellschaftsentwicklung zu rasanten Veränderungen und Experimenten, die bis heute anhalten. Religiöse Institutionen, der Glaube an das Jenseits, die Vorstellung von einer allgemeingültigen und unverrückbaren Wahrheit hinter oder über den sichtbaren, irdischen Erscheinungen, all das war mit einem Male nicht mehr gültig. Auch die Frage nach dem Sinn des Lebens musste demnach neu gestellt werden. Das gemeinsame Fundament aus Heilsgewißheiten, Wertestabilität und Hoffnung auf ultimative Gnade war plötzlich weg gebrochen..
Wie die Geisteswelt, also Philosophen, Wirtschaftsethiker, Psychologen, Moralisten, Schriftsteller und bildende Künstler mit diesem umstürzenden Paradigmenwechsel umgingen und wodurch er verursacht wurde, das ist der Gegenstand dieses hervorragenden, auch hervorragend lesebaren und umfangreichen Buches von Peter Watson, dem bekannten britischen Wissenschaftjournalisten, der schon durch einige kultur- und geistgeschichtliche Gesamtdarstellungen hervorgetreten ist. Es sei das Zeitalter des Nichts angebrochen schreibt er, obschon er es auch hätte das Zeitalter von Allem nennen können, denn alles geriet in Bewegung, alles war möglich. Alles das, was man vordem gewohnt war, Gott oder dem Göttlichen zuzuschreiben, musste jetzt woanders gesucht werden bzw. von woanders herkommen. Und die Bemühungen der Philosophen, Psychologen und Literaten, die bei der Geburt eines neuen Koordinatensystems die Geburtshelfer waren, schildert uns Watson ausführlich und anschaulich. So begegnet der Leser bekannten und weniger bekannten Männern und Frauen aus Philosophie und Kunst, deren Leistung im Lichte der Fragestellung des Buches und der Notwendigkeit auf diesen Paradigmenwechsel zu reagieren, ganz neu gewürdigt werden kann. Es wundert nicht, wenn man Namen liest wie Marx, Freud, Dewey, Wittgenstein etc.. Überraschend ist, wenn Watson auf die Beiträge von z.B. Proust, V. Woolf, Kafka, Lawrence und anderen hinweist. Atheistische Ersatzreligionen wie der Nationalismus, der Faschismus und der Kommunismus beanspruchten den vakant gewordenen Thron, mit dem bekannten Ergebnis. Nachdem schon der erste Weltkrieg und seine Folgen die offenbare Abwesenheit Gottes sicht- und spürbar gemacht hat, um wieviel mehr der zweite mit seinem nicht zu überbietenden Grauen. Dieser Zusammenbruch aller religiöser oder spiritueller Traditionen und Gewißheiten hat Raum geschaffen für die Forderung nach neuen Mitteln und Wegen, der Welt einen Sinn abzugewinnen, wenn es denn einen gibt. Die verschiedenen Gesellschaftsutopien und –systeme gaben nicht genug Antwort auf die fundamentalen Fragen des Daseins. Watson macht unter anderem klar, dass mit der zunehmenden Psychologisierung unseres Denkens und Alltages die Sinnsuche immer mehr auf das eigene Selbst nach innen gerichtet wurde, mit Folgen, die man heute allenthalben beobachten kann. Kosmologen, Physiker und Evolutionsbiologen von heute kommen auch zu Wort und erweitern die Angebotspalette an Antworten. Diese wenigen Andeutungen sind nur ein schwaches Abbild von der Menge des Materials, das Peter Watson dem Leser vorlegt. Er tut es mit nie erlahmendem Schwung und verhehlt nicht seine offenbar positive Einstellung zum Dasein in seiner Fülle und seinem Zauber. Es ist nicht neu zu sagen, dass man die Gegenwart nur verstehen kann, wenn man von der Vergangenheit weiß, Das vorliegende Buch belegt aber beindruckend die Richtigkeit dieses Satzes. kp 768 Seiten
29,99 € |
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Katja Lange-Müller Drehtür Verlag Kiepenheuer und Witsch Asta Arnold war 22 Jahre als Krankenschwester im Dienst internationaler Hilfsorganisationen tätig, zuletzt in Nicaragua. Ein Leben lang sah sich berufen zu helfen, doch jetzt, mit 65, unterlaufen ihr Fehler, und sie ist nicht mehr erwünscht. Die Kollegen schenken ihr ein One-Way-Ticket nach Deutschland, für einen „Aus-Flug“, wie sie es mit perfidem Witz nennen. Nun steht Asta am Münchner Flughafen und raucht ohne Maß. Orientierungslos, was die Zukunft angeht, wird sie ergriffen von einem intensiven Erinnerungsstrom, ausgelöst durch vermeintlich bekannte Gesichter dies- und jenseits der Drehtür, die gleichsam als Scharnier ihrer Lebensstationen dient. Und wie Scheherazade erzählt, um ihr Leben zu retten, beginnt nun ein Rondo frei assoziierter Erinnerungen aus verschiedenen Zeiten, von verschiedenen Kontinenten, bei denen es um das Helfen geht und nicht selten um dessen Misslingen.
Anfangs aber bemerkt Asta, dass sie mit der deutschen Sprache „im Clinch“ steht, und so muss sie erst probieren, den inzwischen fremd klingenden deutschen Wörtern nachschmecken, ob sie eine Vertrautheit etwa in solchen wie Blitzgewitter und Muttersprache finden kann. Was ein Lebewesen ist, wissen alle. Aber ein Gesundheitswesen? „Helfen macht geil, machtgeil“, heißt es später. Und da ist er endlich wieder, der ganz besondere Katja-Lange-Müller-Sound, den wir vermisst haben sieben Jahre lang, seit dem großartigen Roman „Böse Schafe.“ Lakonisch, robust, sarkastisch, pointiert, unsentimental, solidarisch-zärtlich noch mit dem verwahrlosesten Freak. Doch noch hinter dem verschrobensten Kalauer verbirgt sich eine stille Weltweisheit, die sich, so will es scheinen, zunehmend in Weltskepsis wandelt. „Ich habe viel über das Helfen nachgedacht als letzte Domäne des unreflektiert Guten“, so Katja Lange-Müller. „Gut ist ja nicht einfach gut. Das hatte ich schon bei meinem Roman „Böse Schafe“: die guten Guten, die bösen Bösen, die bösen Guten und die guten Bösen. Die guten Bösen sind wahrscheinlich die Variante, die die Menschheit am weitesten bringt...“ gw 224 Seiten
19,00€ Winter 2016
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Francoise Frenkel
Nichts, um sein Haupt zu betten Übersetzt von Elisabeth Edl, mit einem Vorwort von Patrick Modiano. Hanser Verlag Sie war eine Kollegin, diese Francoise Frenkel, eine ganz besonders mutige, intelligente und selbstbestimmte Person. Man müsste ihr so etwas wie ein kleines Buchhändlerinnendenkmal
setzen. 1889 kommt sie in Polen zur Welt, sie ist Jüdin, geht zum Studium nach Paris und kommt im Jahr 1921, drei Jahre nach dem großen Krieg, auf die unglaubliche Idee, in Berlin, Passauer Straße, eine französische Buchhandlung zu eröffnen. Man rät ihr ab, sie tut es dennoch. Es wird eine Erfolgsgeschichte. Tout Berlin trifft sich hier: Diplomaten, französische und deutsche Autoren, Intellektuelle, Leser, die das Französische lieben, wovon es immer schon in Berlin viele gab. Kurzum: Dieser Buchladen wird eine lebendige Berliner Institution, ein Ort des kulturellen Lebens und Austausches in einer schwierigen Zeit. Ab 1933 machen die deutschen Behörden diesem Laden und ihrer Besitzerin das Leben und Handeln mit französischen Büchern kompliziert und schwer. Madame Frenkel bleibt dennoch bis kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs in der Stadt. Am 27. August 1939 verlässt sie Berlin. Sie schließt ihren geliebten Buchladen zu und geht. Für immer. Die französische Botschaft versucht die Bücher zu retten, aber irgendwann beschlagnahmen die Nazis alles. Man kennt diese Geschichten, und doch müssen sie immer wieder erzählt werden. Zurück in Frankreich gelingt es ihr, sich mit Hilfe guter Menschen zu verstecken. Davon berichtet das Buch im überwiegenden Teil. Schließlich gelingt ihr die Flucht in die Schweiz. Francoise Frenkel überlebt den Krieg. Unmittelbar nach all diesem Erlebten, setzt sie sich hin und schreibt dieses Buch. Es erscheint 1945 in einem Schweizer Verlag und - ward vergessen. Eindrücklich, präzise, frisch und ohne Bitternis erzählt sie von all den kleinen Schritten, die notwendig waren, um untergetaucht im besetzten Frankreich zu überleben. Ohne fremde Hilfe unmöglich – ohne ständige Überwindung von extremster Angst und ohne Glück auch nicht. Beeindruckend und lehrreich ihre genaue Beschreibung von deutscher Besatzungsverwaltung und französischem Entgegenkommen, wenn es darum geht, politisch und rassisch Verfolgte auszuliefern. Aber eben noch beeindruckender die vielen Menschen, die sich dem zu widersetzen versuchen und es auch tun. Man fand dieses Buch, auch das ein Wunder, auf einem Pariser Flohmarkt wieder. Elisabeth Edl übersetzte es und Patrick Modiano, ein Spezialist derartiger Lebensgeschichten, hat ein einfühlsames Vorwort geschrieben, und Sie sollten es unbedingt lesen. Es ist etwas Besonderes mit diesem Buch. Eigenartig, dass man nie zuvor, auch wenn man schon fast ein ganzes Leben im Bücher-Berlin lebt, von der Existenz dieses Buchladens gehört hat. sg 288 Seiten
22,00€
Winter 2016
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Hans Fallada
Kleiner Mann - was nun? Mit einem Nachwort von Carsten Gansel Aufbau Verlag Die meisten von Ihnen werden dieses Buch schon einmal gelesen haben. Wenn nicht, nehmen Sie es sofort zur Hand und fangen Sie an. Wenn ja, lesen Sie es noch einmal.
Es sei hier zum Wiederlesen ausdrücklich empfohlen, zumal ein Viertel dieses Textes in früheren Ausgaben nicht enthalten war - ergo: alle lesen irgendwie zum ersten Mal dieses Buch. Seit geraumer Zeit machen sich Verlage etwas zur Aufgabe, was nicht oft genug lobend erwähnt werden kann: Sie entdecken längst vergessene, verschollene, gekürzte Bücher neu und geben Sie erstmals in ihrer ganzen ursprünglichen Vollständigkeit heraus. Im Aufbau Verlag ist ein solches Arbeiten mit und an Texten berühmter Autoren schon lange ein fester Bestandteil der Programmgestaltung und wir sind dankbar, dass es solch ein Denken und Arbeiten in Verlagen gibt. So geschehen im Frühjahr 2011 mit Hans Falladas JEDER STIRBT FÜR SICH ALLEIN und nun mit des selbigen Autors Titel KLEINER MANN - WAS NUN? Im Jahre 1932 waren Ernst Rowohlt, der Verleger Falladas, der Autor selbst und das Lektorat nur an einem interessiert: Sie wollten das Buch zu einem Welterfolg machen, und deshalb "erschien es angeraten, mögliche Irritationen zu vermeiden und den Roman auf diese Weise einem breiten Lesepublikum anzupassen." Die Weltwirtschaftskrise hatte allen, Autor und Verlag, zugesetzt. Man brauchte dringend einen Erfolg; auch einen wirtschaftlichen: Man brauchte die "Pinke". Und so wurden in einer politisch extrem angespannten Situation politisch heikle Szenen, aber auch solche, die den Leser moralisch kompromittieren könnten, Szenen des Berliner Nachtlebens, gestrichen. Etwa ein Viertel des Romans fiel dem Rotstift zum Opfer. "Das Kalkül von Verlag, Autor und Zeitung (Es gab einen Vorabdruck in der Vossischen) ging auf: Die Leser waren begeistert. Es wurde ein Welterfolg. Und erst jetzt dürfen wir den ganzen Fallada lesen und sind erstaunt, berührt und beglückt, diese Geschichte in all ihrer Frische und Eindringlichkeit, ihrer Wärme, Bitternis, Wahrheit und Lebendigkeit erneut zu lesen und zu hören. Dieser Roman hat über die Jahre nichts an Aussagekraft, Wahrhaftigkeit und literarischer Kraft verloren. Das zeichnet große Literatur aus. Man wird ihn auch in hundert Jahren noch genauso frisch und begeistert lesen können. Wer das Ende der Weimarer Republik verstehen will, greife zu diesem Buch. "Da steht Er, einer von Millionen, Johannes Pinneberg, kleiner Angestellter, ein Garnichts, aber ein Garnichts voll Sorgen und Wünschen, Mann seines "Lämmchen", Vater seines "Murkels", kämpft mit Berlin, Verwandten, Hochstaplern, Chefs, Kollegen, verkauft viel Anzüge, verkauft gar keine Anzüge, wird arbeitslos, bekommt Arbeit, wird wieder arbeitslos und verzweifelt doch nicht... Wehrlos gegen die Schläge, die auf ihn niederfallen, arm im blinkenden Wirbel der Großstadt, glückselig bei Weib und Kind, erfährt Pinneberg Freud und Leid wie der nackte Mensch der Urzeit, der nicht weiß, was morgen kommt." So formuliert in einer Anzeige im Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel am 25. Mai 1932. "Schreiben Sie, wie Ihnen der Schnabel gewachsen ist" ermunterte Ernst Rowohlt seinen Autor. "Also nieder mit allen verdammten Buchgemeinschaften und Volksverbänden der Bücherfreunde, sämtlichen Illustrierten Zeitungen der Welt, sämtlichen jämmerlichen bürgerlichen Feuilletonredaktionen, sondern schreiben Sie um Gottes Willen so, wie es Ihnen um die Hand, resp. ums Maul oder ums Herz herum ist, ..." Das tat Fallada, gekürzt wurde danach. Der Sound dieses Buches ist unverwechselbar. Man muss es einfach lieben. Das Buch hat, dies soll nicht unerwähnt bleiben, einen hervorragenden, informativen Anhang von Carsten Gansel. sg 557 Seiten
22,95€
Winter 2016
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Szczepan Twardoch
Drach übersetzt von Olaf Kühl Rowohlt Berlin Drach ist ein Familienroman, es ist ein Roman Niederschlesiens und die Erde ist es, die die Geschichte der Familie Magnor erzählt. Sie weiß alles, bewahrt alles, vergisst nichts. Die Erde als Erzählerin ermöglicht eine Gleichzeitigkeit der Handlung über 100 Jahre hinweg, ein Erzählen, in dem alle Stränge in einem Geflecht miteinander verbunden sind. Trotz der zeitlichen Sprünge und der zahlreichen handelnden Personen und Nebenpersonen verliert der Leser in diesem kunstvoll komponierten Roman nicht den Zusammenhang. Wie ein Faden, der durch die Erde läuft, werden die Personen und Zeitebenen miteinander verwoben, vom Urgroßvater Josef Magnor bis zum Urenkel Nikodem. Josef Magnor ist der Stamm, von dem die vielen Erzählstränge abzweigen. In dieser Zeitspanne von 100 Jahren wird nicht nur die Familiengeschichte erzählt, sondern auch die Geschichte Schlesiens, der Kriege, Aufstände und Streiks in den Bergwerken, der Grenz- und Sprachverschiebungen, der Menschen, die heute wasserpolnisch oder schlesisch sprechen und fühlen und morgen deutsch oder polnisch. Wer bin ich, wo gehöre ich hin, wie bestimmt mich meine Herkunft, Fragen, die man sich selbst beim Lesen des Romans stellt. Olaf Kühl hat diesen Text mit all seinen sprachlichen Herausforderungen wunderbar übersetzt, ein "Lied von der (schlesischen) Erde", ein großartiges Buch. rg
412 Seiten
22,95€
Winter 2016
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Thomas Melle Die Welt im Rücken
Rowohlt Berlin
Dies ist ein nachtschwarzes Buch voller Qual und Verzweiflung, Scham und Wut, eine Reise ins Herz der Finsternis. Und es ist eins der besten Bücher in dieser an guten Büchern nicht armen Saison. Nicht Roman, nicht Autobiographie, nicht (ausschließlich) Krankenbericht. Es ist ein Freischreiben.
Thomas Melle leidet seit 1999 an der Bipolaren Störung I, der schwersten Form manischer Depression. Das heißt (sehr verkürzt): In Schüben wechseln sich paranoide Allmachtsphantasien und tiefe Niedergeschlagenheit ab, die Klinikaufenthalte häufen sich, die Freunde bleiben fern, Räumungsklagen und Pfändungen folgen. Wie das im Einzelnen beschrieben wird, das ist schlicht atemberaubend, voll schonungsloser Drastik und vor allem von ungeheurer literarischer Kraft.
Zwischen den Schüben ist man sozusagen „zwischenzeitlich geheilt“; in diesen Phasen schrieb Melle zuletzt die beiden Romane „Sickster“ und „3000 Euro“.
Freischreiben: Schon in den Romanen teilen die Protagonisten das Basisschicksal des Autors, sind dessen „Wiedergänger“, von denen es sich zu trennen gilt. Das ist der Antrieb des Buches und bezeugt seine Dringlichkeit. „‘Ich‘ zu sagen ist unter den gegebenen Umständen gar nicht einfach, umso entschiedener tue ich es. Wenn ich nicht wirklich versuche, meine Geschichten einzusammeln, sie zurückzuholen, die Stimme in eigener Sache unverstellt zu erheben, bleibe ich, auch und gerade im Leben, ein Zombie, ein Wiedergänger meiner selbst, genau wie meine Figuren.“
Nach der Lektüre ist man erschöpft wie nach harter, aber sinnerfüllter Arbeit. Wie soll es weitergehen?
„Bisher war ich ein Schriftsteller des Unglücks. Meine Protagonisten fielen, erkrankten, brachten sich um. Das soll sich nun ändern. Ich möchte herausfinden, wie es wäre, ein Schriftsteller des Glücks zu sein.“ gw
352 Seiten
19,95€
Herbst 2016
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Guntram Vesper Frohburg Verlag Schöffling Co. Genau so war das Leben in einer ostdeutschen Kleinstadt am Ende der Naziherrschaft, dann unter sowjetischer Besatzung und in der DDR. Noch bis in die Zeit der „Wendehälse“ nach 1989 reicht der Erzählhorizont. Gegen das Chaos, die Not und die Willkür der Herrschenden mussten die Bewohner sich immer neue Überlebenstechniken einfallen lassen. Hier, nahe der Grenze zur Tchechoslowakei, im „Wismut Gebiet“ des Erzgebirges, war das Besatzungsregime besonders rigoros. Die Sowjetunion ließ Uran abbauen für den Bau ihrer Atomwaffen. Das sollte im Westen nicht so genau bekannt werden. Deshalb war der paranoide Kontrollwahn der Besatzer und der ostdeutschen Staatsmacht noch einen Tick schärfer, als ohnehin in der sowjetischen Zone. Kuschen vor den „sowjetischen Freunden“, die immer das letzte Wort, aber selber Angst vor dem „Genossen Stalin“ hatten, denn jeder Fehler eines Besatzungs-Kommandanten konnte auch für ihn Jahre im Gulag bedeuten. Geschrieben ist dieses Buch in atemlosen Staccato und voller Sprachwitz.
1957 – der Autor war 16 Jahre alt - flüchtete die Familie in den Westen. Besuche, meist in „Familienangelegenheiten“, vor und nach dem Ende der DDR, führten ihn zurück in die Landschaften und Orte seiner Kindheit und lösten ein Erinnerungs-Feuerwerk an persönliche und politische Ereignisse sowie deren handelnde Personen aus. Das Buch ist lang, aber nie langatmig. Zurecht hat der Autor für sein Werk der Leipziger Buchpreis 2016 erhalten. Es steht in der literarischen Traditon der Danziger Trilogie von Günter Grass und der Jahrestage von Uwe Johnson. Ein geniales Zeitpanorama. js
1002 Seiten
34,00 € Herbst 2016
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Mathias Enard
Kompass Hanser Berlin Was ist der Andere? Was ist der Andere in uns selbst, fragt der Protagonist in Mathias Enards Roman "Kompass" und führt damit leitmotivisch in das Zentrum dieses außergewöhnlichen, mit dem Prix Goncourt gekrönten Buchs. Erzählt wird der Roman aus der Perspektive des kranken Wiener Musikwissenschaftlers Franz Ritter, der während einer schlaflosen Nacht „halb geträumte“ Erinnerungen aufsteigen lässt, in denen sich die Geschichte der europäischen Faszination für die „Andersheit“, den Orient, widerspiegelt. Franz Ritters Reflexionen entfalten von der österreichischen Hauptstadt, der porta orientis, über Istanbul und Teheran bis nach Palmyra ein kulturelles Beziehungsgeflecht; ein weites geisteswissenschaftliches Panorama, das sich nur durch einen seit vielen Jahrhunderten gesuchten Austausch zwischen Orient und Okzident denken lässt. Neben Pilgern, Forschern und Wissenschaftlern verknüpfen in Ritters Selbstgesprächen Dichter (Goethe, Hofmannsthal, Hugo, Balzac) und Komponisten ( u.a. Mozart, Liszt, Hindemith) reale Begegnungen und kreative Einfälle zu Narrativen, die den Roman zu einem vergnüglichen, aber durchaus anspruchsvollen und gelehrten Orientexkurs verdichten. Zu Ritters glücklichen Erinnerungen gehören auch die Begegnungen mit der Literaturwissenschaftlerin Sarah, die aber sein Begehren nicht erwidert. Seine Sehnsucht nach ihr ist wie das Echo in einem Sehnsuchtsraum, in dem unser Blick auf das Morgenland noch voller Idylle und unbeschädigt von Terror und Religionskrieg war. Mathias Enard widmet Kompass den Syrern. Ihr Schicksal steht heute exemplarisch für unser gewandeltes Bild vom Orient: Ihre Flucht nach Europa ist zu unserer Furcht vor dem Osten geworden. be
416 Seiten
25,00€
Herbst 2016
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Jerome Charyn
Blue Eyes Diaphanes Verlag In seiner Heimat äußern sich Kollegen wie Michael Chabon und Don DeLillo bewundernd und voller Hochachtung über ihn, in Frankreich wurde er zum Ritter des Ordens der Künste und der Literatur ernannt. Hierzulande ist er immer noch ein Geheimtip: Jerome Charyn, 1937 als Sohn russisch-jüdischer Einwanderer in New York geboren, gilt mit seinem vielfältigen Werk als Chronist der Stadt, als „Homer der Bronx“, als „Balzac Manhattans.“ Er hat zwei Biographien verfasst: eine über Isaak Babel, die andere über Quentin Tarantino, und hiermit werden schon die Pole deutlich, zwischen denen sich Stoff und Stil seiner Romane bewegen.
Im Zentrum seines Werks steht die 1974 begonnene Saga um den enigmatischen Anti-Helden Isaac Sidel, dessen Weg vom Präsidenten der New Yorker Polizei über das Bürgermeisteramt bis ins Weiße Haus führt. Sidel ist die Inkarnation aller Detektive und Verbrecher der Stadt, er mordet, er rettet Menschenleben, er richtet, er verzeiht: eine mythisch anmutende Figur mit exzellenten Beziehungen zu allen Zweigen der Mafia. Diese Bücher der Gattung Kriminalroman zuzuschlagen wäre ungenau; vielmehr wird eine Archäologie des Verbrechens betrieben, hier werden Kriege geführt wie in antiken Epen, simple Fälle zu lösen gibt es hier nicht. Die Sprache ist schnörkellos, erzählt wird rasant, halluzinatorisch, sehr noir. In Deutschland gab es mehrere Versuche von verschiedenen Verlagen, sich dem Werk Charyns zu nähern. Jetzt liegt mit „Blue Eyes“ der erste der auf zwölf Bände angelegten vollständigen Neuausgabe der Sidel-Romane vor, in vortrefflicher Ausstattung, silbern matt-glänzend. Ein Angebot, das man nicht ablehnen kann. gw 304 Seiten
14,95 € Sommer 2016
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Michail Prischwin
Der irdische Kelch Guggolz Verlag „Und was ist Russland? Am einen Ende geht die Sonne auf, am anderen unter, und auf einem so großen Territorium sagen alle, dass es zu wenig Land gibt und die Leute hätten nichts anzuziehen, gibt es auf Erden ein närrischeres Land als Russland?“
1922 schrieb Michail Prischwin mit dem „Irdischen Kelch“ ein noch heute irritierend modern wirkendes Prosastück nieder, das die brutale Zwangskollektivierung der ländlichen Güter durch die Bolschewiki 1919 zum Thema hat. Schauplatz ist ein abgelegen im Sumpf liegendes Empireschloss, das infolge der Umnutzung durch die neuen kommunistischen Machthaber binnen kurzer Zeit katastrophal heruntergekommen ist. Der Lehrer Alpatow, ein alter ego Prischwins, soll hier ein Museum des Gutslebens einrichten. Inmitten eines Ensembles skurriler Gestalten, Muschiks, Apparatschiks, Moosbeerweibern und Popen wird er gewahr, wie nicht nur das gesellschaftliche Leben aus den Fugen gerät, sondern wie auch die Natur sich nach den gewalttätigen Eingriffen langsam vom Menschen verabschiedet. Prischwin bangte um die Veröffentlichung seines Buches und schrieb offensiv einen Brief an Trotzki. Dieser attestierte ihm zwar künstlerisches Talent, im Übrigen sei die Erzählung jedoch durch und durch konterrevolutionär. Erst 2004 konnte in Russland eine vollständige, unzensierte Ausgabe erscheinen. Wir haben jetzt das Glück, dieses literarische Kleinod in einer bibliophil gestalteten Ausgabe in deutscher Übersetzung lesen zu dürfen. Geborgen hat diesen Schatz der auf osteuropäische und nordische Literatur spezialisierte Guggolz Verlag, übersetzt und mit unerlässlichen Anmerkungen versehen wurde das Buch von Eveline Passet, und Ilma Rakusa bringt in ihrem erhellenden Nachwort das Phänomen dieser faszinierenden Prosa auf den Punkt: „Mitnichten eine flüssige Lektüre. Prischwins dokumentarisch abgefederte Erzählung ist kantig und bizarr, berührend und komisch, bitter und schön, schockierend und phantastisch, sie lebt von prägnanten Details, die dem Text Glaubwürdigkeit und Würze verleihen – und jeden Ideologen das Fürchten lehren.“ gw 171 Seiten
20€ Frühjahr 2016
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Roland Schimmelpfennig
An einem klaren, eiskalten Januarmorgen zu Beginn des 21.Jahrhunderts. S. Fischer Verlag Als Theaterautor begibt sich Roland Schimmelpfennig nicht selten auf die Spur von dysfunktionalen (Paar,-)Beziehungen. Dahinter scheint oft die Absicht auf, ein vermeintliches Idyll zu entlarven und innerhalb komplexer Lebenszusammenhänge Lebenslügen zu enttarnen. Die Mittel der Collagetechnik und surreale Elemente werden zu Trägern einer Erzählform, die dem Moralisten Schimmelpfennig einen beständigen Fingerzeig auf unsere disparaten Zustände und Widersprüchlichkeiten ermöglicht. Auch hier, in seinem ersten, geglückten Roman, werden unterschiedliche Lebensperspektiven verschiedener Paare angeschnitten, deren Wege sich durch ein Ereignis plötzlich kreuzen: ein Wolf ist in der Stadt. Ob es den Wolf tatsächlich gibt, bleibt offen, vielleicht ist er auch nur „ein dunkler Fleck im Schnee“. Die mögliche Konfrontation mit der animalischen Seite der Welt verunsichert und setzt Ängste, aber auch Sehnsüchte nach menschlicher Wärme und Zusammengehörigkeit frei. Schimmelpfennig erweist sich als ein Meister der knappen, lakonischen Sprache. Sie erforscht atmosphärisch genau die filigranen, seelischen Erschütterungen. Sie belauert und umkreist, bis schließlich mit den Figuren auch der Leser ahnt, dass, seit der Wolf aufgetaucht ist, nichts mehr ist, wie es vorher war. be
256 Seiten
19.99€
Frühjahr 2016
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Gaziel
Nach Solniki und Serbien. Eine Reise in den Ersten Weltkrieg Berenberg „Befördert von unfähigen Politikern, beleidigten Monarchen und nationalistisch verbohrten Militärs“ tritt der europäische Kontinent 1914 in den Ersten Weltkrieg ein.
Der Balkan wird unter Einfluss der europäischen Großmächte zum Kriegsschauplatz und tausende Menschen flüchten im Jahr 1915 vor den über Mazedonien und Serbien anrückenden bulgarischen und deutschen Truppen, die gegen die französisch-britische Allianz in Griechenland vorrücken. Ein junger Journalist aus Barcelona, Gaziel, eigentlich Augustì Calvet, geboren 1887, aus wohlhabendem Haus mit gutbürgerlichem Hintergrund, ist abenteuerlustig, von der Antike begeistert und mutig genug den nahenden Frontlinien entgegen zu reisen. Mit dem Schiff Adriatikos über Italien nach Griechenland, später in Begleitung eines dolmetschenden Freundes mit einem alten klapprigen Wagen geht es im November 1915 über das von Engländern und Franzosen besetzte Saloniki, weiter durch Kälte und schneebedeckte Berglandschaften nach Monastir, wo er auf die von deutschen und bulgarischen Truppen vertriebenen Flüchtlingsströme trifft: „Während wir uns Monastir nähern, durch die anrollenden Wellen von Flüchtlingen hindurch, ist mir, als erlebte ich eine der tausendjährigen Szenen der Pest, des Elends und des Schreckens, die das moderne Bewusstsein noch bis vor zwei Jahren für immer ins barbarische Dunkel des Mittelalters verbannt zu haben schien“. Gaziels Blick ist nicht immer frei von Stereotypen und antisemitischen Vorurteilen seiner Zeit, doch stets ist er politisch hellwach, teilnehmend und offen für die Nöte und das unbeschreibliche Leid der vertriebenen Menschen, welcher Religion oder Nationalität auch immer. Entschieden wendet er sich gegen Irrsinn und Absurdität eines von Flüchtlingen unverschuldet hinzunehmenden Elends. Ein ungemein dichtes, ergreifend unmittelbares Zeugnis, das die beeindruckenden Landschaften Griechenlands und des Balkans, die kulturelle und menschliche Vielfalt dieser Regionen, die verfehlte Politik und die erschütternden Schicksale dieser Zeit erfasst. Gaziels Bericht ist erschreckend aktuell. mc 240 Seiten
25.00 €
Frühjahr 2016
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Antonia Baum
Tony Soprano stirbt nicht Hoffmann und Campe Antonia Baums letzter Roman hieß "Ich wuchs auf einem Schrotthaufen auf, wo ich lernte, mich von Radkappen und Stoßstangen zu ernähren." Er handelt von drei Kindern, die, so die Autorin, „auf ihren Vater warten, ihr ganzes Leben lang, und die ihn, während des Wartens, am Leben erhalten, indem sie sich Geschichten über ihn erzählen, indem sie seine Wörter benutzen und seine Scherze machen.“ Kurz vor Erscheinen des Romans erfährt Antonia Baum, dass ihr Vater nach einem schweren Motorradunfall auf der Intensivstation liegt.
In den Wochen und Monaten danach entstanden die vorliegenden zutiefst skrupulösen Aufzeichnungen. Ihren Titel verdanken sie einer Folge der legendären Mafia-Fernsehserie "Die Sopranos", in der Tony Soprano angeschossen wird und, im Krankenhaus bewacht von seiner bangenden Familie, mit dem Tod ringt. Natürlich überlebt Tony Soprano. Einige Jahre später aber stirbt überraschend James Gandolfini, der herausragende Darsteller des Tony Soprano, an einem Herzinfarkt. Das Buch ist das bewegende Zeugnis einer tiefen Verunsicherung, die für Antonia Baum nicht anders als schreibend zu bewältigen ist. „Warum schreibe ich? Weil ich muss, weil ich nicht allein sein kann, weil ich Angst habe, weil ich herausfinden will, was passiert ist und was ich darüber denke; weil ich etwas gegen den Tod tun will.“ Vor allem geht es um den Einbruch der Realität in die Kunst, um autobiographisches Schreiben, mithin um Verantwortung und Schuld: Welche Zusammenhänge gibt es zwischen dem Roman und den realen Vorgängen, die letztlich zum Unfall des Vaters geführt haben? Die Autorin zitiert die von ihr verehrte Joan Didion: „Schriftsteller liefern immer jemanden ans Messer.“ Aber auch: „Wir erzählen uns Geschichten, um zu leben.“ Und so stehen am Ende des Buches drei verstörende Geschichten, „Möglichkeiten“ nennt sie Antonia Baum. Sie stehen für sich, sie heilen nicht und haben auch keinen Anteil daran, dass das Buch verhalten hoffnungsvoll endet. Jedoch: „Ich wusste, dass ich das Leben nicht lesen kann wie einen Roman, in dem Zeichen versteckt sind, und ich wusste, dass Drehbücher und Geschichten keine Programme sind für das, was vor einem liegt... Aber ich weiß nicht, was ich ohne diese Geschichten gemacht hätte. Und ich weiß auch nicht, was ich ohne das Schreiben gemacht hätte.“ gw 150 Seiten
25,00 € Frühjahr 2016
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Friedrich Christian Delius
Die Liebesgeschichtenerzählerin Rowohlt Berlin „Das Vergangene,“ schreibt Harry Mulisch, „ist ebenso unsicher wie die Zukunft. In der Zukunft kann (fast) alles noch geschehen – doch auch in der Vergangenheit kann fast alles geschehen sein.“
Marie von Schabow, geboren 1920, verheiratet seit 1941 mit Reinhard von Mollwitz, vierfache Mutter, erfüllt sich kurz vor ihrem 50.Geburtstag den Wunsch, endlich das Buch ihrer Familiengeschichte zu beginnen: drei Liebesgeschichten, drei Lebensentwürfe in drei Kriegen. Anfang 1970 begleiten wir sie auf einer Bahnreise nach Holland, wo sie in den königlichen Archiven Dokumente über ihre während der napoleonischen Kriege illegitim gezeugte Ururgroßmutter Minna aufzufinden hofft. Ihre Eindrücke auf der Reise, die Gedanken über ihr eigenes Erleben und das ihrer Eltern und der Großeltern in den Kriegen und Nachkriegszeiten des 20. Jahrhunderts ergeben das Gerüst für das geplante Buch. Der Leser wird hineingezogen wie in einen Film, dessen einzelne Schnitte nach und nach die Lebenswirklichkeit der Menschen abbilden, die in zusammenbrechenden Ordnungen aus ihren Lebensbahnen geworfen werden, Verlust und Tod, Not und Vertreibung erleiden müssen. Es ist ein verständnisvolles, liebevolles Erinnern mit großer Empathie, in einer unaufgeregten, nachdenklichen Sprache geschrieben. Jeder Gedanken-Absatz endet nicht mit einem Punkt: So war es! Er endet mit einem Gedankenstrich: So könnte es gewesen sein - so könnten es unsere Vorfahren empfunden haben. Danke, lieber Büchner-Preisträger, für dieses Meisterwerk. js 208 Seiten 18,95€ Frühjahr 2016
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Ferdinand Hardekopf
Briefe aus Berlin. Feuilletons 1899 - 1902 Nimbus "Ein deutscher Dichter bin ich einst gewesen." Das gilt für viele vergessene Autoren des 20. Jahrhunderts: Auch und ganz besonders für Ferdinand Hardekopf.
Allenfalls dem ein oder anderen als expressionistischer Lyriker oder/und als profunder Übersetzer französischer Literatur bekannt, war er weit mehr als das: nämlich einer der geschliffensten Feuilletonisten, den die Hauptstadt je, neben Alfred Kerr natürlich, gehabt hat. 1876 in Varel (Friesland) geboren, kam er 1899 nach Berlin und wurde Stenograf im Deutschen Reichstag. "Gelegentlich besuchte er auch die Universität, doch die Berliner Boheme zog ihn weitaus mehr an." " wollte er sein... nicht Hüter der hohen Dichtkunst", sondern einer, der über die Gegenwart und das flirrende Leben der Straße und über die Vergnügungen in den Theatern, Varietés, Cafés und Unterhaltungsbuden schrieb. 1899 bekam er einen Auftrag der Eisenacher Tagespost und die Berichte aus Berlin, ach was sage ich, Berichte, das sind kleine, pointiert geschliffene feuilletonistische Kunstwerke, in und für die thüringische Provinz fanden über vier Jahre lang glückliche Leser. Und immer ist es das Kulturleben, "die Synthese von hoher Bildung und niedrigem Genuss des Moments", die ihn zu wahrhaft brillanten, wunderbar ironischen und stilsicheren Texten anspornt. Über den Kaiser und den Adel berichtet er nicht. Das hat ihn nicht interessiert. Ibsen, Hauptmann, Frank Wedekind, die Kunstsalons und die Secession, das sind seine Themen: der nervöse Umbau Berlins zu einer Weltmetropole ist in vollem Gang. Und Hardekopf ist mit Stil, Freundlichkeit, Witz, Ironie und Neugier ihr perfekter Chronist. Hardekopf hasste den Krieg und so ging er 1916 in die Schweiz ins Exil. Er kam noch einmal zurück nach Berlin, verließ es aber 1922 endgültig, für immer ein Staatenloser. Später in Frankreich hatte er Glück und wurde Dank einer Intervention André Gides wieder aus dem Internierungslager entlassen. Nach dem Krieg lebte und übersetzte er wieder in der Schweiz, wollte lieber staatenlos sein, als einen Deutschen Pass besitzen. Er war ein Vermittler der französischen Literatur, die er so geliebt und bis zu seinem Lebensende wie ein Besessener übersetzt hat. "Nie gelingt das Dasein richtig, nur der Dicht-Extrakt bleibt wichtig." F.H. Bernhard Echte, Verleger und Robert Walser Experte, hat diesen wunderbaren Band in seinem Nimbus Verlag, Halbleinen und Lesebändchen, wie es sich gehört. "Unbegrenzt haltbar" sg 224 Seiten
28,00€ Frühjahr 2016
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Etgar Keret
Die sieben guten Jahre. Mein Leben als Vater und Sohn Übersetzung: Daniel Kehlmann Fischer Verlag Etgar Keret, Jahrgang 1967, zählt zu den spannendsten und begabtesten jüngeren Autoren Israels. Er schreibt Erzählungen, Drehbücher, Graphic Novels und lebt mit Frau und Kind in Tel Aviv. Etgar Keret hat eine ganz eigene Stimme: schnell, mitfühlend, manchmal überspannt, voller Humor, bizarr - er verzichtet darauf zu moralisieren und weigert sich, alles zu politisieren. Der Mensch hat, was immer geschieht, sein ganz persönliches, einmaliges und nicht austauschbares, individuelles Leben.
Wir haben es hier nicht mit Erzählungen zu tun, sondern mit einem sehr persönlichen, intimen Journal. Sieben "glückliche" Jahre seines Lebens. Es beginnt mit der Geburt seines Sohnes während eines Raketenangriffs, alle Ärzte sind unterwegs, um Verletzten zu helfen, das Ungeborene hat instinktiv Geduld auf die Welt zu kommen, und endet mit dem Tod seines Vaters, eines Holocaust-Überlebenden. Dazwischen: ein Leben als Vater, Sohn, Mann und Bruder, viel Alltag in Israel: verrückt, gefährlich, oft surreal und ja, auch urkomisch. Kann ein Mensch sieben gute Jahre haben in einem Land, das sich in ständiger Angst und seit ewigen Zeiten im Krieg befindet? Gut, ja, was ist ein gutes Leben? An einer Stelle ist die kleine Familie unterwegs und es kommt urplötzlich ein Raketenangriff. Sie verlassen das Auto, legen sich in den Straßengraben und spielen Pastrami-Sandwich, sprich: Butterbrot: Die Eltern sind das Brot (oben und unten) und in der Mitte das Kind, dass die Wurst spielen muss. Wie schütze ich mein Kind? Dieses Buch erscheint nicht auf hebräisch, Etgar Keret wollte es nicht. Es sei zu privat. Die deutschen Leser dürfen es lesen und sollten es unbedingt tun! Überwältigend und bewegend! sg 224 Seiten
19,99€ Frühjahr 2016
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Christoph Hein
Glückskind mit Vater Suhrkamp Kriegsende 1945 in einer ostdeutschen Kleinstadt – Konstantin, am 14. Mai geboren und „Held“ dieses Romans, ist für seine Mutter ihr „Glückskind“: Zwar bewahrt die Schwangerschaft sie nicht davor, ihre Villa verlassen zu müssen, aber vermutlich vor Schlimmerem.
Erst mit elf Jahren erfährt Konstantin die Geschichte seiner Familie, bis dahin hatte die Mutter geschwiegen: über den Namenswechsel, über die gesellschaftliche Stellung des Vaters in der Stadt, wo er als Fabrikbesitzer bis Kriegsende der wichtigste Arbeitgeber war, über seine Partei – und SS-Mitgliedschaft, und seine Hinrichtung in den letzten Wochen des Krieges. Noch als Toter herrscht der Vater über die Stadt, von den einen gehasst, den anderen bewundert. Für Konstantin wird er zum Phantom. Sein Leben lang wird er der Sohn von Gerhard Müller bleiben und darunter leiden. Mit dieser Lebensgeschichte erzählt Christoph Hein von über 60 Jahren deutscher Geschichte: von Lüge und Verdrängung in beiden deutschen Staaten, von Menschen, die in jedem System Sieger bleiben und von jenen wie Konstantin, für die die Vergangenheit immer Gegenwart bleibt. rg 527 Seiten
22,95€ Frühjahr 2016
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JOHN DOS PASSOS
MANHATTAN TRANSFER Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren Rowohlt 1925 erschien mit Manhattan Transfer einer der großen Romane der amerikanischen Moderne: fragmentarischer Querschnitt durch die New Yorker Gesellschaft, dokumentarische Filmcollage und sozialkritische Fiktion zugleich. In einer Vielzahl von Figuren öffnet sich vor dem Leser das Panorama der Stadt. Den meisten der mehr als hundert Personen begegnet man nur einmal, wie beiläufig und doch bedeutsam. Nur einige Charaktere halten den Roman zusammen.
Der Blick des Autors fixiert Augenblicke im Großstadtdschungel, seine rhythmische Prosa folgt dem Pulsieren der Metropole. Sie ist der Protagonist. Gefräßig droht sie alle anderen Figuren zu verschlingen. Die radikale Modernität und stilistische Brillanz dieses Werkes kann nun in der neuen Übersetzung von Dirk van Gunsteren wiederentdeckt werden. sd 592 Seiten
24.95 €
Frühjahr 2016
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Henning Mankell
Treibsand Zsolnay Mankell hat Krebs. Den existenziellen Schock dieser Diagnose kennen viele, andere können ihn sich vorstellen. Man versteht, dass er bei manchem zum – durchaus nachahmenswerten – Anlass wird, sich den grundlegenden Fragen des Lebens zuzuwenden, sei es in Verzweiflung oder vielleicht mit einer Art rücksichtsloser Abenteuerlust. Für Mankell wird der Schock zum Impuls für eine Zivilisationskritik, in welcher er sich und dem Leser bedeutende Hinterlassenschaften der Menschheit, bemerkenswerte historische Ereignisse, Kunstwerke und persönliche, prägende Erlebnisse einfühlsam vergegenwärtigt, und daran die Fragen nach Vergänglichkeit, Erinnern und Vergessen erörtert. Seine Kritik an unserer Zivilisation speist sich aus der Frage, was unsere heutige den zukünftigen Generationen hinterlassen wird, was man von uns vergessen, was erinnern wird.
Treibsand ist kein Buch, das dem Leser detailliert die Leiden von Krebserkrankung und Chemotherapie vorführt – obwohl es dem Thema nicht ausweicht. Der Titel ist ja nicht ohne Grund gewählt, denn wie in Treibsand fühlt sich der Autor nach der Diagnose versinken. Nein, kein Krebsbuch, vielmehr ein ernstes und sehr inspirierendes Nachdenken über das, was wir Menschen sind. An einer Stelle meint Mankell, das Leben sei eine Tragödie. Die tröstlichen Illusionen der Religion lehnt er für sich ab, und verliert dennoch nicht einen gewissen Optimismus. Ich habe mich jedes mal beim Aufschlagen des Buches auf dieses ernste und anregende Zwiegespräch mit dem Autor gefreut – und wurde niemals enttäuscht. kp 384 Seiten
24,90 €
Herbst 2015
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Jenny Erpenbeck
Gehen, ging, gegangen Knaus Richard, emeritierter Professor für Altphilologie, hat „jetzt einfach nur Zeit“: Richard muss jetzt nicht mehr frühmorgens pünktlich aufstehen. „Vielleicht liegen noch viele Jahre vor ihm, vielleicht nur noch ein paar... Die Zeit ist jetzt eine ganz andere Art von Zeit. Auf einmal.“
Richard schaut alles in allem auf eine erfüllte Lebenszeit zurück. Gut, es gab Brüche, wie in jedem Leben, seine Frau ist früh verstorben, seine Geliebte hat ihn betrogen. „Nun aber quält ihn nicht die Zeit, die mit einer unnützen Liebe ausgefüllt ist, sondern die Zeit an sich.“ Zeit haben auch andere, unfreiwillig viel Zeit: die Flüchtlinge vor dem Roten Rathaus in Berlin. Und außer dieser Zeit haben sie nichts mehr. „We become visible“ steht auf ihren handgeschriebenen Schildern und so kommt es, dass Richard dem Aufruf in der Zeitung „Der Berliner Senat lädt Anwohner und Flüchtlinge zur Beratung der Lage in die Aula der besetzten Kreuzberger Schule ein“ folgt. Richard macht die „Sache mit den Flüchtlingen“ zu einer Art persönlichem Projekt. Und zu einem richtigen Projekt gehört eine solide Kenntnis der Dinge, um die es geht, und eine präzise und gute Vorbereitung. Es ist ihm wichtig, die richtigen Fragen zu stellen: „Und die richtigen Fragen sind nicht unbedingt die Fragen, die man ausspricht...Um den Übergang von einem ausgefüllten und überschaubaren Alltag in den nach allen Seiten offenen, gleichsam zügigen Alltag eines Flüchtlingslebens zu erkunden, muss er wissen, was am Anfang war, was in der Mitte – und was jetzt ist.“ „Wer sind diese Menschen überhaupt? Warum können Sie nicht dort sein, wo sie eigentlich sein wollen – in ihrer Heimat? Und wer sind wir, dass wir sagen dürfen, es sind zu viele?“ Jenny Erpenbecks Romane haben immer mit den Fragen über Herkunft, Entwurzelung, Identität und Flucht zu tun. In diesem Buch nun widmet sie sich dem wohl wichtigsten politischen Thema unserer jetzigen und zukünftigen Zeit. Und wie sie das macht verdient allergrößte Bewunderung und Respekt. Nichts entgleitet ihr in diesem Buch: Es gibt keine unreflektierten Sätze, keine Klischees, keine Verallgemeinerungen, keinen moralischen Zeigefinger, keine Scheinheiligkeit, keine einfachen Wahrheiten und keine billigen Lösungen. Was es allerdings gibt, und dafür verehre ich diese Autorin, ist ein so überwältigend kluger, auch aufklärerischer und überzeugender Versuch, den Horizont unseres In-der-Welt-Seins zu öffnen, ohne immer schon Antworten auf Fragen parat zu haben, die wir uns nicht zu stellen genötigt sehen, aus welchen Gründen auch immer. Richard jedenfalls stellt die richtigen Fragen. Sie verändern sein Leben und Denken und Handeln. Ohne Enttäuschung geht das nicht – aber ohne Engagement eben auch nicht. Nein, es geht hier nicht darum, die ganze Welt zu retten. Eher schon um die einfachste und schwierigste aller Fragen: Wer will ich in diesem Leben sein? Dies ist ein Roman, den ich jedem dringend zu lesen empfehle. Sie kommen da anders heraus, als Sie hinein gegangen sind. Und was will man mehr von einem Roman! Ein echtes Bildungserlebnis! sg 351 Seiten
19,99€ Herbst 2015
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Charles Haldeman Es ist eine späte Entdeckung: mehr als 50 Jahre nach seinem Erscheinen ist dieses Buch, das über weite Strecken in Deutschland spielt und deutsche Geschichte verhandelt, auch in deutscher Sprache zu lesen. Charles Haldeman, 1931 in South Carolina als Sohn eines deutschen Emigranten und einer Amerikanerin geboren, verarbeitet in seinem Debütroman eigene Lebensstationen, vor allem in dessen zweitem Teil, wo er sein Alter Ego Stefan Brüggemann im Heidelberg der fünfziger Jahre studieren lässt. Dieser hat hier bereits eine schmerzvolle Odyssee hinter sich: dunkelhäutig, da Sohn eines Roma-Vaters, entkommt er dem Tod in Auschwitz nur durch Zufall, folgt einem G.I. in die Südstaaten der USA und kehrt – nach dessen Tod – über Paris zurück nach Deutschland. In der Schilderung dieser Nachkriegsgesellschaft, der akademischen Bohème, dem Gemisch aus Kriegsheimkehrern, ehemaligen Kollaborateuren und Mitläufern, entwickelt der Roman eine ungeheure Spannung und Dichte. Vollends zum Schlüsselroman wird er, als Stefan auf die Dichterwitwe Regina Speer trifft. In Paul Speer nämlich ist kaum verschlüsselt der Lyriker Rainer Maria Gerhardt erkennbar, ein genialischer Wegbereiter der literarischen Nachkriegsmoderne und früher Vermittler zeitgenössischer amerikanischer Lyrik, der sich mit 27 Jahren das Leben nahm. Seiner damaligen Frau Renate ist Der Sonnenwächter gewidmet. Haldemans Roman, sprachmächtig, komplex gefügt, verstörend, rätselhaft oft, doch nie verrätselt, ist selbst ein atemberaubendes Zeugnis der Moderne, auch heute noch, mehr als 50 Jahre nach seinem Erscheinen.
335 Seiten
25,00€ Herbst 2015
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Michail Ossorgin
Eine Strasse in Moskau Die Andere Bibliothek Michail Ossorgin wurde 1878 in Perm in eine Adelsfamilie hineingeboren, studierte Jura, beteiligte sich schon 1905 an den revolutionären Ausschreitungen, wurde verhaftet, konnte ins Ausland fliehen, lebte bis zu seiner Rückkehr 1917 in Italien, wo er als Journalist liberaler russischer Zeitungen arbeitete. Er war von der Notwendigkeit der Revolution 1917 zunächst überzeugt und bald danach über die vollkommene Abkehr von der Einsetzung bürgerlicher Freiheiten bitter enttäuscht. Als Konterrevolutionär und „bürgerlicher Volksverderber“ wurde er 1922 mit 223 anderen Intellektuellen auf persönlichen Befehl Lenins mit einem der sogenannten „Philosophenschiffe“ außer Landes gebracht: Ausweisung auf Lebenszeit.
„Wir haben diese Leute ausgewiesen, weil es keinen Grund gab, sie zu erschießen, sie zu ertragen aber, war unmöglich“, kommentierte Trotzki. Ossorgin ging zunächst nach Berlin, später nach Paris. Das Leben in der Emigration war hart. Er war ein „Zeitungsarbeiter“ und schlug sich durch. 1928 erschien in Paris in einem Emigrantenverlag „Eine Straße in Moskau“, 1929 eine deutsche Übersetzung unter dem Titel „Der Wolf kreist. Ein Roman aus Moskau“. Ossorgin starb als staatenloser Flüchtling 1942 in Frankreich. Der Roman beginnt im Frühjahr 1917 und endet in Erwartung des Frühlings im Winter 1920. Das historische Geschehen jener Zeit, Krieg und Revolution wird aus wechselnden Perspektiven erzählt. Im Mittelpunkt aber stehen ein Haus in einer berühmten Moskauer Straße, bevorzugter Wohnort der russischen Intelligenzija, und dessen Bewohner, die Familie und der Freundeskreis eines Professors für Ornithologie. Über sie alle, die in diesem Haus ein und aus gehen als Vertreter der bürgerlichen Welt und Werte, fegen die Erschütterungen der Zeit hinweg, zunächst der Erste Weltkrieg und bald danach die ganz „große Katastrophe“, die komplette Umwälzung aller bis dahin geltenden Ordnung. Man tauscht nach und nach Bücher gegen Brot und nimmt doch alles irgendwie klaglos hin, als sei es eine gewaltige Naturkatastrophe, ein sich wiederholendes Gehen und Vergehen, sinnlos, sich dagegen aufzulehnen. Ossorgin erzählt von Krieg, Chaos, Zerstörung und Gewalt, vom Aufstieg der dumm-dreisten Mitläufer und vom Niedergang empfindsamer Menschen. Er ist ein enorm sprachmächtiger Autor, stilistisch absolut sicher gehört er zweifelsfrei zu den großen Klassikern der russischen Literatur. Gleichzeitig ist er ein moderner Schriftsteller, der virtuos mit dem Wechsel von realistischem und symbolisch-parabelhaftem Erzählen spielt. Wir, die Leser, betrachten das Geschehen aus verschiedenen Blickwinkeln, gewissermaßen durch die Augen der Protagonisten. So haben wir es hier trotz expressiver Kriegs- und Revolutionsgeschichten auch mit einem Werk tiefster Menschlichkeit zu tun, das uns die große Liebe eines Exilautors zu seiner auf immer verloren Heimat Russland spüren lässt. Wir vollziehen lesend nach, was Ossorgin selbst über seine Art zu schreiben festhielt: „Ich schreibe keine Literatur, ich beschreibe das Leben.“ Wie wahr und ganz sicher bescheiden untertrieben. sg 520 Seiten
42€ Herbst 2015
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Olivier Rolin
Der Meteorologe Liebeskind Ausgehend von einem Bündel Briefe, das ihm eher zufällig in die Hände fiel, rekonstruiert Olivier Rolin die Geschichte von Alexei Wangenheim. Dieser war trotz seiner adligen Herkunft überzeugter Kommunist, er verstand seine Arbeit als Meteorologe als Dienst am Volk der Sowjetunion, seine Forschungen zu Arktis und Stratosphäre sollten Russlands Fortschritt dienen, in Wind- und Sonnenenergie sah er die Zukunft der Elektrifizierung. 1934 wird er denunziert und in ein Lager verbannt, er schreibt Gesuche und Petitionen bis an Stalin persönlich. Seiner Frau und seiner Tochter schreibt er Briefe, zweigeteilt, der obere Teil an die Mutter, der untere, voller Zeichnungen, Bilderrätsel, erzieherischer Spiele, an die Tochter. Rolin gelingt es, der Spur dieses gewöhnlichen Mannes, der an Zukunft und Fortschritt der russischen Revolution glaubte, zu folgen, bis in jenen abgelegenen Wald, in dem er 1937 hingerichtet wird. Das mit den Briefen reich illustrierte Buch, erzählt die erschütternde Geschichte eines Menschen, dessen Hoffnungen jener Revolution galten, von deren grausigen Mühlen er selbst zermahlen wurde. An seinem Beispiel zeigen sich Tragik und Schrecken der letzten großen Menschheitsutopie, für die so viele gekämpft und an der so viele zugrunde gegangen sind. sd
224 Seiten,
19,90€ Herbst 2015
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Frans Emil Sillanpää im Guggolz Verlag
Frommes Elend 285 Seiten 24,00€ Hiltu und Ragnar
140 Seiten 18,00€ Vier Jahre nach "Frommes Elend" erschien 1923 der Roman "Hiltu und Ragnar" in dem Silanpää das Schicksal von Hiltu beleuchtet, Jussis schon aus dem ersten Werk bekannter Tochter, die im Hause einer Rektorenwitwe ihre erste Anstellung als Hausangestellte antritt. Mit einem Umfang von hundert Seiten unterscheidet sich diese Erzählung im Handlungs- und Spannungsbogen deutlich von "Frommes Elend". Ragnar, der Sohn der Witwe hat Gefallen an dem neuen Dienstmädchen gefunden, daher bedrängt er seine Mutter eine aufgeschobene Reise endlich anzutreten, um mit Hiltu einige Tage allein verbringen zu können. Die jungen Menschen bewegen sich aufeinander zu, für einen Augenblick scheint sich eine Liebesgeschichte anzubahnen, doch die unterschiedliche Herkunft fordert ihren Preis. Ragnar verstört in seinem Drängen Hiltu und schließlich führt eine unglückliche Fügung zum tragischen Ende. Sillanpää beweist in dieser Geschichte sein Geschick für die psychologische Beschreibung, ausführlich werden die Gedanken der Heranwachsenden geschildert, Ragnars Hoffnungen und Enttäuschungen, aber auch die Verwirrtheit Hiltus, ihre Ängste und schließlich ihre Verzweiflung. In der Diskrepanz der Gedankengänge von Hiltu und Ragnar wird die Dramatik ihrer Situation offenkundig, ein gutes Ende war schon von vornherein ausgeschlossen. So lässt sich der Roman als deutliche Gesellschaftskritik lesen, die die moralischen Verwerfungen im finnischen Volk anprangert. Äußerst lesenswert ist auch das Nachwort der Ausgabe, Sillanpääs Biograf Panu Rajala beschreibt kurz und präzise die Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte von "Hiltu und Ragnar". rb
Herbst 2015
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Erika Tophoven
Godot hinter Gittern. Eine Hochstaplergeschichte Verbrecher Verlag 1956 übergibt der Übersetzer Elmar Tophoven im Auftrag von Samuel Beckett einem fremden Mann einen Umschlag mit Geld. Einige Jahre zuvor hatte dieser Mann sich aus einem Gefängnis an Beckett gewandt: Er habe sein Stück „Man wartet auf Godot“ übersetzt und führe es im Gefängnis auf, nach seiner Entlassung wolle er es mit der „Spielschar der Landstraße“ in ganz Deutschland zeigen. Beckett ist begeistert, sucht nach Möglichkeiten KFL zu unterstützen, schickt ihm Geld und sorgt dafür, dass er Godot auf dem Evangelischen Kirchentag aufführen darf. Schließlich taucht KFL in Paris auf, versucht Beckett zu treffen. Dieser lässt ihm Geld zukommen, eben jenen Umschlag. KFL verschwindet auf Nimmerwiedersehen, hinterlässt nur einen Zettel: Paris sei ihm zu kalt, er gehe in den Süden. Erika Tophoven verfolgt die Spuren jenes KFL von seiner Geburtsstadt, quer durch Deutschland und Frankreich, bis sie sich schließlich an der Cote d’Azur verliert. Sie erzählt die unglaubliche Geschichte eines notorischen Betrügers und Hochstaplers, der seine Opfer – meist auch die Polizei – hinters Licht führen konnte, schließlich auch Samuel Beckett. KFL's Übersetzung von Godot ist leider verschollen geblieben. sd
220 Seiten 21€ Herbst 2015
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Adam Zagajewski, Tomas Tranströmer, Philippe Jaccottet
Eine Olive des Nichts. Klangbilder von Burkhard Reinartz ECM Poesie und Musik sind Nachbarn, sagt Adam Zagajewski auf diesem Wunderwerk einer CD, die der Regisseur und Autor Burkhard Reinartz für das Münchner Plattenlabel ECM arrangiert, kompiliert, gewoben hat. Reinartz ist nicht nur ausgewiesener Kenner zeitgenössischer Lyrik, er kennt und schätzt auch die Klangkultur von ECM, die seit Jahrzehnten für die Aufhebung stilistischer Grenzen in der Musik und makellose Aufnahmetechnik steht. Aus diesem Archiv schöpft Reinartz und verbindet die Klänge mit den Texten dreier Meister der modernen Dichtkunst: Adam Zagajewski, Tomas Tranströmer und Philippe Jaccotetet. Dabei geht es ihm nicht um musikalische Illustrierung von Gedichten, sondern um ein „Amalgam verschiedener Sprachen.“ Die Musik von Arvo Pärt, Morton Feldman, Ketil Björnstad oder Steve Tibbetts, so Reinartz, „tritt zurück oder schärft ihre Konturen im dialogischen Spiel mit der Sprache.“
Entstanden sind Klanglandschaften von ungeheurer Intensität und berückender Schönheit; aus Worten und Musik wird eine Musik der Worte. Phantastisch. gw 78 Minuten
22,99€
Herbst 2015
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Frank Witzel
Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969 Matthes & Seitz Titel und Seitenzahl dieses Buches lassen den Leser ahnen, dass ihm die Lektüre einiges abverlangen wird. Läßt er sich aber darauf ein, macht ihn schon die fulminante Eingangsszene zur Geisel eines irrwitzigen Erzählunterfangens: Der 13jährige Titelheld wird zusammen mit Claudia und Bernd in einem NSU („Weil ein Song von Cream so heißt“) von der Polizei verfolgt, sie haben eine um die Ecke schießende Pistole dabei sowie andere verfängliche Gegestände aus Kaugummiautomaten. Sie entkommen und sehen am Abend im elterlichen Fernsehzimmer die Phantombilder der gesuchten RAF-Mitglieder. Und erkennen sich wieder.
Was ist wahr, erinnert, erfunden in diesem Roman? Ist es überhaupt ein Roman, mit seinem 14seitigen engbedruckten Register, von Adenauer (2 Eintragungen) über Beatles (geschätzte 60, zumal auf einzelne Songs extra verwiesen wird), Foucault (4), Glied (16), bis Zündplättchen (3). Jedenfalls umfängt den Leser sofort die bleierne Zeit der 60er Jahre in der hessischen Provinz, wo es überhaupt nicht swingt. Die Welt der Pubertierenden wird von Dualitäten bestimmt: Evangelisch oder katholisch, GeHa oder Pelikan, Beatles oder Stones, Märklin oder Fleischmann. Die Handlung changiert permanent zwischen Realität und Wahn, die Perspektive des kindlich assoziierenden Helden wechselt mit der des Erwachsenen, der sich in der Psychiatrie befindet und befragt wird: Von einem Arzt? Im Polizeiverhör? Im Beichtstuhl?
Nichts ist sicher in diesem überbordenden Werk , an dem Frank Witzel acht Jahre lang gearbeitet hat. Es ist ein phantastisches Fabulierfest geworden, das sich allen Vergleichen strikt verweigert. Soviel ist dann doch sicher: Frank Witzel hat das mit Abstand ungewöhnlichste Buch dieses Jahres geschrieben.
Ein Solitär. gw
818 Seiten
29,90€
Sommer 2015
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Siri Hustvedt
Die gleißende Welt Rowohlt Siri Hustvedt ist eine amerikanische Schriftstellerin, die brillante Essays schreibt, eine Intellektuelle, die Romane von stupendem Esprit und sprachlich feinnerviger Intuition verfasst. In ihrem neuen Buch "Die gleißende Welt" werden wir Leser zu einem (literarischen) Experiment verführt, das am Ende die (Un)Wahrheit und Vorurteile des amerikanischen Kunstbetriebs entlarvt. Hustvedt stellt eine weibliche Künstlerpersönlichkeit, Harriett Burden, in den Vordergrund, die, klug, belesen, philosophisch versiert, sich nicht auf ein Identitätsmerkmal festlegen lassen will. Voreingenommene Zuschreibungen und Bewertungen über ihre Kunst will sie mit einer Täuschung offenlegen: Sie wird ihre Objekte und Installationen unter der Maske männlicher Kollegen zeigen, nur um schließlich nach Jahren ihre eigene Urheberschaft offenzulegen. Das riskante Projekt scheitert, und Harriet Burden muss die Erfahrung machen, dass die Kunstwelt, wenn man ihre Scheinhaftigkeit und narzisstischen Triebe outet, gekränkt zurückschlägt. Mitnichten geht es der Autorin Hustvedt aber darum, über einen immer noch von männlicher Wahrnehmung dominierten Kunst-(und Literatur-)markt feministisch zu reflektieren. Vielmehr veröffentlicht sie das facettenreiche, sinnliche Porträt einer Frau, die durch ihre Tagebuchaufzeichnungen, die Stimmen ihrer Freunde und Kritiker, die Worte des Geliebten und ihrer Kinder, vielschichtig skizziert wird. Für die Winkelzüge in ihrer Biografie, die Wandlung ihrer Handlungen, die verletzliche Seite ihrer Suche nach Anerkennung findet Hustvedt eine suggestive Sprache. Und unterstellt ihrer Protagonistin noch so manch gelehrte Fußnote, als wolle sie sagen, dass die Komplexität einer Persönlichkeit selbst mit den klügsten Worten nicht eindeutig und in Gänze zu erfassen sei. be
496 Seiten
22,95€ Sommer 2015
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Edith Pearlman
Honeydew Ullstein Wie kann es sein, dass wir bisher noch nichts davon wussten: Eine Schriftstellerin von unheimlicher Weisheit, eine Erzählerin in den Kleidern einer mal nüchternen, mal verzeihend zärtlichen Realistin, eine lustvolle Beobachterin – das ist Edith Pearlman. Endlich kann man die Kurzgeschichten dieser fast achtzigjährigen amerikanischen Ausnahmeschriftstellerin lesen und unumwunden den Worten ihres Verlegers zustimmen: „ Jedes Mal, wenn ich eine ihrer Kurzgeschichten zu Ende gelesen habe, fühle ich mich verstanden und versöhnt damit, dass ich ein Mensch bin". Die Menschen, und das wird in diesen 20 Geschichten so banal wie verblüffend klar, wollen einander lieben, sie sorgen sich, versuchen alles, um Garantien für ein halbwegs geglücktes Leben zu erhaschen. Und scheitern – weil sie sich sprach- und verständnislos gegenüber stehen, weil ihre Arglosigkeit nicht selten Oberflächlichkeit und Mutlosigkeit, „ein Ruch von Betrügerei" verrät. Und dann ist das Leben zu Ende: „ Dann würden sie aus der Geschichte entschwinden und alle ihre Ergänzungen und ihre Verlässlichkeit und Selbstverleugnung und Unzufriedenheit mitnehmen." Pearlman registriert das alles, wie eine Wissenschaftlerin ( Biologin, Anthropologin) zuweilen staunend auf diese seltsame Spezies Mensch blickt. („ Die Mutter: ein strenger Knoten, Zinn mit Bronze gemischt." „Er mochte Objekte von besonderer Schönheit wie die letzten rubinroten Tropfen in einer Flasche Hustensaft ...".) Und immer wieder unterläuft sie mit erzähltechnischer Finesse die Erwartungen, die man an den Verlauf einer Geschichte richtet, überrascht uns mit Wendungen, dass man ganz froh wird, weil der Mensch sich widersprüchlich, unerschrocken, unbezähmbar zeigen darf. Mrs. Pearlman weiß etwas über uns, das sie uns in dieser kristallin schönen Sprache beschreibt wie kaum eine andere Erzählerin. be
320 Seiten
20,00€ Sommer 2015
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Norbert Scheuer |
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Amos Oz Judas Suhrkamp "Dies ist die Geschichte der Wintertage Ende des Jahres 1959, Anfang 1960. In dieser Geschichte gibt es Irrtum und Lust, es gibt enttäuschte Liebe, und es gibt so etwas wie die Frage nach Religiosität, die hier unbeantwortet bleibt." So der Beginn des neuen Romans Amos Oz' und schon hat er uns Leser eingefangen. In diesem Winter gibt Schmuel Asch, 25 Jahre jung, sein Studium, das er mit einer Arbeit über Jesus aus jüdischer Sicht abschließen wollte, in Jerusalem auf. Seine Eltern können ihn nicht weiter finanziell unterstützen, die Freundin hat ihn verlassen, um einen früheren Freund zu heiraten. Schmuel denkt daran, die Stadt zu verlassen. Er bleibt, als ihm eine ungewöhnliche Aufgabe angeboten wird: Im Hause des alten, gebrechlichen, aber intellektuell vollkommen präsenten Gershom Walds wird er gegen Kost und Logis dessen nächtlicher Gesprächspartner und Vorleser und verliebt sich in dessen ebenso schöne, wie kühl kapriziöse und seelisch schwer verletzte Schwiegertochter Atalja Abrabanel. Wir ahnen es: Es wird eine ganz und gar unmögliche Liebe. Der eigentliche Protagonist des Romans aber ist Judas Ischariot, der Archetypus des Verräters. Der Verrat ist das zentrale Thema dieses Buches und nur ein Autor dieses Formats ist in der Lage, dieses Motiv so grandios und gleichzeitig unaufgeregt minimalistisch, drei Zimmer, eine Küche, drei Protagonisten, historisch, politisch und psychologisch zu öffnen. Aber wer ist ein Verräter? Und was bewegt Menschen, andere, und nicht selten die engagiertesten, des Verrats zu bezichtigen? War Judas ein Verräter? Amos Oz gibt eine sehr kontroverse, ja provokante Antwort: " Nämlich, dass manchmal gerade der, den man einen Verräter nennt, der loyalste, liebevollste und treueste von allen ist." Und damit nicht genug: " Judas Ischariot ist das Tschernobyl des Antisemitismus.... Ich hatte das Bedürfnis, diese ganze Sache auf den Kopf zu stellen." Amos Oz hat in diesem Roman die existentiellen Themen seines Landes und Volkes in eine atmosphärisch dichte und starke Geschichte verwandelt, die souveräne Parallelführung historischer und gegenwärtiger Themen und Motive lassen eines erkennen: dies ist Weltliteratur. "Die hebräische Sprache ist mein einziges Zuhause," sagt Amos Oz. Danke, Miriam Pressler, dass wir Einlass finden. Man wiederholt sich mit der Frage: Wann wird dieser Autor endlich in Stockholm gebührend für sein literarisches Lebenswerk geehrt? Geben wir die Hoffnung nicht auf, der Autor ist 75 Jahre jung. sg 323 Seiten 22,95€ |
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Luftsprünge. Eine literarische Reise durch Europa Herausgegeben von Thomas Geiger. dtv premium Europa, dieser kleine und dicht besiedelte Kontinent, Europa, so heißt es im Vorwort des Herausgebers Thomas Geiger, Programmkurator des Literarischen Colloquiums Berlin, zu dieser umfangreichen, sehr eindrücklichen Anthologie, "ist einer der abwechslungsreichsten und schönsten Großräume der Erde geblieben." Europa - das ist überbordende Sprach-, Kultur- und Lebensvielfalt. Aus dieser Vielfalt erwächst Europas Stärke und diese Bandbreite gilt es zu verstehen. "Dieses europäische Lesebuch möchte dazu beitragen, über reale aber auch über Sprachgrenzen hinweg, den Blick für diese Vielfalt zu öffnen." Aber wie vermisst man diesen Kontinent? Geographisch, historisch, politisch, kulturell? Halten wir uns an die Sprachen: 35 bekannte sowie unbekannte Autoren aus ebenso vielen Ländern sind mit Texten aus jüngerer und jüngster Zeit in diesem auch ästhetisch schön gestalteten Band versammelt und repräsentieren auf ihre Art diesen erst seit 25 Jahren wieder vereinten Kontinent. Ausgesucht wurden sie Beiträge einzig ihrer literarischen Qualität wegen: Colm Tóibín, Tomas Espedal, Davide Longo, Melinda Nadj Abonji, Georgi Gospodinov, Juri Andruchowytsch, Eva Menasse, Zsófia Bán und viele, viele andere laden uns ein, mitzukommen in die Lebens-, Gefühls- und Sprachwelten ihres jeweiligen Landes. Über Europa kann man allerdings nicht erzählen, ohne und gerade auch von den großen Umbrüchen, schwierigen Übergängen, hohen Erwartungen und enttäuschten Hoffnungen zu sprechen. Auch davon zeugen diese Texte: erzählend, essayistisch, lyrisch, jeder von herausragenderer literarischer Klasse. Gegenwartsautoren haben es oft schwer, außerhalb ihrer Sprachgrenze wahrgenommen zu werden. Damit dies überhaupt gelingt, bedarf es der "stillen Helden des Literaturbetriebs: der Übersetzer, ohne die ein Projekt wie dieses unmöglich wäre." Entstanden ist eine poetische und politische Vermessung Europas, eine Geländeermittlung und Positionsbestimmung. Das Buch möchte Neugierde erwecken auf Unbekanntes und neu zu Entdeckendes und Lust machen auf das (Weiter)Lesen, das Reisen und das Sprachenlernen. Es gilt, den Blick für diesen großartigen Lebensraum zu schärfen. Das ist ausnahmslos gelungen. sg 384 Seiten 16,90€ |
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Joseph Roth |
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Gila Lustiger |
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Thomas Wolfe |
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Iwan Bunin 160 Seiten |
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Sabrina Janesch |
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Jakob Arjouni |
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Hans Zischler |
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Ulrich Raulff |
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Michael Köhlmeier |
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Raja Siekkinen |
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Daniel Schreiber |
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Ulf Erdmann-Ziegler |
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Aharon Appelfeld
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Ludwig Laher |
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Gaito Gasdanow |
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Katja Petrowskaja |
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Anthony McCarten |
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